PresseEr ist bei denen, die in der Gosse liegen

— Rheinische Post

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Eine Nähe zum ursprünglichen Empfinden, das die Frauen und Männer überfiel, als sie Jesus angenagelt am Kreuz sahen.

Kreuze mit und ohne Corpus Christi. Sie stehen wie natürlich auf Friedhöfen, in Kirchen und Kapellen, auf Wanderwegen und Wegkreuzungen. Man kann sie entdecken über Hauseingängen und mancherorts in Hausmauernischen. Vertraut sind sie uns, wir haben uns daran gewöhnt, sie gehören zu unserer Kultur und Prägung. In den Todesanzeigen entdeckt man sie. Holzkreuze, Steinkreuze, Stahlkreuze, kleine Kreuze als Schmuckstück. Symbole des Todes, Zeichen der Trauer, Mahnungen des Abschieds vom Leben.

Erfassen wir allerdings damit die Grausamkeit des Kreuzes noch?

Die allerersten Christen mochten es nicht so benutzen, wie wir es tun. Ihnen standen die vielen Kreuze der ersten ermordeten Christen noch nah vor Augen. Das Mordwerkzeug der Henker lehnten sie als Symbol ab. Der Tod Jesu am Kreuz, sein elendes, langes Sterben, seine Qual zum Ende hin war für die, die Jesus vertraut hatten, unvorstellbar. Aus seinen Worten und Taten hatten sie Hoffnung und Vertrauen geschöpft.

Jesus wurde für sie zur Kraftquelle des Lebens. Er verwies sie auf Gott, den er „unseren Vater im Himmel“ nannte, den Schöpfer, Bewahrer und Liebhaber des Lebens.

Jesus, den Rabbi, den Weisen, den Lehrer, den Verehrten und Geachteten, den Geliebten so am Kreuz zu sehen: ungeheuerlich! Wie kann das sein? Das darf nicht sein! Empörung macht sich breit, Unverständnis. Das Kreuz: eine Beleidigung, Verhöhnung, Missachtung aller religiösen Gefühle, Blasphemie. Gott wird durch den Dreck gezogen. Keiner theologischen Interpretation wird es gelingen, aus dem widerlichsten Marterinstrument der Geschichte auch nur einen Schimmer an Verehrungswürdigem herauszudichten.

Ich habe lange vor dem von Alfred Grimm geschaffenen Werk „Christus in der Gosse“ gesessen, es auf mich wirken lassen und empfand Abscheu und Empörung und habe mich gefragt, kann man so mit einem Kruzifix umgehen, es in die Gosse neben Kehricht und Unrat legen, in den Schmutz und den Gestank?

Alfred Grimm aber schenkt uns mit seinem „Christus in der Gosse“ eine Nähe zum ursprünglichen Empfinden von Empörung, Wut, Enttäuschung und Trauer über das Unglaubliche und Unfassbare, das die Frauen und Männer überfiel, als sie Jesus angenagelt am Kreuz sahen. Somit hilft uns auch Grimms Arbeit zu begreifen, wie unser Gott in Jesus ist, ja, wie er von Anfang seiner Menschwerdung war. In einem Weihnachtslied heißt es:“…er liegt dort elend, nackt und bloß…“ in einem Futtertrog in einem stinkenden Stall.

ER ist bei denen die in der Gosse liegen, die ausgegrenzt, verstoßen, ausgenutzt werden, die nicht hineinpassen in die ordentliche, geordnete, kalte und unbarmherzige Gesellschaft der Besserwissenden und Selbstgerechten. Zu denen, die mittellos, übersehen und entrechtet sind, einsam und abgeschrieben, gesellt er sich. Mitten unter ihnen ist ER.

Ostern – morgen! – feiern wir dieses Wunder wieder. Ein Wunder der Zuwendung und Liebe, dass er da herausgeholt wurde und die mitnimmt, die nah am Abgrund sind, wie ER selbst es war und ER zu neuem Leben auferstand, damit die zu neuem Leben auferstehen, denen es richtig dreckig geht.

„Das Reich Gottes ist mitten untere euch“ hat Jesus gesagt. Und so endet nichts am Karfreitag, es fing in Wirklichkeit an.

Halleluja.

ER ist auferstanden.

ER ist wahrhaftig auferstanden.

Halleluja.

Friedhelm Waldhausen

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