PresseFrühstück für Christus

— Rheinische Post

Manche bezeichnen Alfred Grimms Kruzifix-Objekte als mutige Kunst. Andere nennen sie abstoßend und gotteslästerlich. Erstmals zu sehen waren 13 Arbeiten 1990 in der Stadtkirche. Die Serie ist gewachsen. Das 70. Werk heißt „Hagelkreuzobjekt“ und steht demnächst im Museum Voswinckelshof.

Von Ralf Schreiner

Dinslaken/Hünxe Ein kahler Baum, ein leeres Holzkreuz. Davor ein Junge. Er hat die Christusfigur abgenommen und hält sie in seinen Armen. Neben ihm ein Hocker. Darauf ein Brötchen, eine Kaffeetasse und eine Jacke. Der Gottessohn soll beim Frühstück nicht frieren. „Hagelkreuzobjekt“ nennt Alfred Grimm seine neue Kruzifixvariation. Sie erzählt eine rührende Geschichte.

Geschrieben hat sie Martina Weinem (siehe nebenstehender Text). Die Dinslakener Sozialwissenschaftlerin und freie Autorin berichtet darin von Christus, der an einem Kreuz am Straßenrand hängt und über einen Jungen nachdenkt, der ihn jeden Tag besucht. Das Kind hat Mitleid mit dem halb nackten Mann. Es bringt ihm einen Mantel, ein heißes Getränk und etwas zu essen.

„Die Geschichte hat mich sofort auf eine Idee gebracht“, sagt Alfred Grimm. Die steht nun als raumgreifendes Kunstobjekt in seinem Atelier in Bruckhausen und wartet auf den Transport ins Museum Voswinckelshof. Dort ist das Werk – gemeinsam mit einem Objektbild, in dem Grimm dasselbe Thema in Acryl auf Leinwand variiert – ab 12. Dezember in der Ausstellung „Kunst macht Geschichte(n)“ zu sehen.

„Pfui!“ in Sütterlinschrift

Das „Hagelkreuz“ gehört nicht zu den Kunstwerken, die dem Betrachter die Zornesröte ins Gesicht treiben. Es ist harmlos, irritiert nicht einmal. Das war bei früheren Kruzifixobjekten anders. Das „Pfui!“ in Sütterlinschrift, das ein erregter Ausstellungsbesucher dem Künstler vor 20 Jahren ins Gästebuch schrieb, hat Alfred Grimm bis heute nicht vergessen. Er hat die alte Kladde aufbewahrt. Sie enthält eine Vielzahl ähnlich abfälliger Kommentare. Wo immer Grimm seine Kruzifixobjekte ausgestellt hat, verstörten sie die Menschen, stießen ab oder verletzten religiöse Gefühle.

Das verwundert nicht. Alfred Grimm konfrontiert den Gekreuzigten konsequent mit den Themen unserer Zeit. Er schießt auf ihn, seziert ihn, dreht ihn durch den Fleischwolf und rührt ihn in die Suppe. Mal liegt Christus auf dem Hackklotz, mal unter der Brotmaschine oder auf dem Komposthaufen. Der Künstler verwendet für seine Variationsobjekte, die allesamt den Opfertod des Gottessohnes als barbarischen Akt darstellen, industriell gefertigte Kruzifixe. Ein Symbol christlichen Glaubens also, das in seiner Entfremdung für Irritationen sorgen soll und muss.

In einem Interview mit der Rheinischen Post hat Alfred Grimm einmal gesagt: „Ich habe bei meinen Kruzifixausstellungen Besucher erlebt, die hatten vor Erregung Schaum vor dem Mund und haben – unter Androhung einer Anzeige wegen Gotteslästerung – die sofortige Beseitigung bestimmter Kreuzobjekte verlangt. Das Ganze gipfelte in der Aussage: Das sei die ekelhafteste Ausstellung, die sie je gesehen hätten.“

„Ein ganz großes Wagnis“

Es gibt andere Stimmen. Die Kruzifixobjekte haben auch Lob und Anerkennung bekommen. Viele Menschen sind beeindruckt, auf welch vielfältige, ja einzigartige Weise es dem Künstler gelungen ist, ein so traditionsreiches Thema wie den Kreuzestod Christi zu interpretieren. Alfred Grimm erinnert sich gern an die erste Ausstellung in der evangelischen Stadtkirche in Dinslaken. Die Vernissage war am 8. April 1990, einem Palmsonntag.

Dass Pastor Ronny Schneider ihm damals das Gotteshaus zur Verfügung stellte, rechnet Grimm ihm bis heute hoch an. „Das war ein ganz großes Wagnis“, sagt der Künstler. Zugleich war die Ausstellung für den 67-jährigen so etwas wie eine Initialzündung. Immer neuen Ideen folgten immer neue Kruzifixobjekte. Die 1968 mit einem „Karfreitagobjekt“ begonnene Serie ist in den vergangenen 20 Jahren mächtig gewachsen. Mittlerweile umfasst sie 70 Objekte. Zwei davon hat der Künstler verschenkt, acht hat er verkauft – drei davon an Kirchen.

Info

Kunst-Geschichte(n)

Auf der Grundlage von historischem Bildmaterial aus den Beständen des Stadtarchivs haben 15 Künstler das Thema „Kunst macht Geschichte(n)“ an Beispielen aus dieser Stadt in Bild und Wort interpretiert.

Es geht um die gute alte Zeit, beziehungsweise das, was man sich gemeinhin darunter vorstellt, um Dinslaken in Bilddokumenten aus der Epoche von 1870 bis 1945, genauer: um Momentaufnahmen jener Zeit. Der Blick in die Vergangenheit erkläre die Gegenwart und verweise auf Künftiges, heißt es bei den Ausstellungsmachern, zu denen Martina Reimann und Ingrid Hassmann aus Voerde gehören. Zwischen den teils verfremdeten Exponaten von Udo Buschmann, Annette Brands, Gudrun Bröckerhoff, Barbara und Alfred Grimm, Asmaa Menghesha, Martina Reimann, Walburga Schild-Griesbeck, Marco Schmidt und Margret Zehrfeld werden Papierfahnen hängen mit lyrischen Texten und Gesichten von Jess Geiger, Ingrid Hassmann, Jutta Ulrich, Martina Weinem und Ruth Wendt.

Die Ausstellung mit Begleitprogramm wird von Sonntag, 12. Dezember, bis 23. Januar kommenden Jahres laufen.

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