PresseJesus war nicht vorsichtig: Tod auf der Großbaustelle

— Rheinische Post

Original-Artikel und weitere Anhänge

Christus und die Christen gehören in den „ungesicherten Bereich“, in den Bereich der Liebe und des Vertrauens.

Wie konnte das passieren? Erschlagen und zertrümmert vom eigenen Handwerkszeug. Arbeitsunfall? Das hätte der Sohn eines Zimmermanns aber besser wissen können! Warnungen gab es genug – „Der Aufenthalt im ungesicherten Bereich ist verboten“, so liest man etwas verdeckt als Kreuzesinschrift. Der Gekreuzigte wird das Risiko doch gekannt haben, schließlich war er auf einer Baustelle unterwegs. Großbaustelle. Beauftragt mit Renovierungsarbeiten am maroden Haus der Schöpfung.

Hatte er dazu die passende Ausrüstung? Werkzeug zum Trennen und Verbinden ist da zu sehen.

Auch wenn man Mensch und Gott nicht mit der Schraubzwinge zusammenbringt; auch wenn Mensch und Mensch sich nicht miteinander verschrauben lassen wie zwei Bretter. Aber ein Hinweis, immerhin.

An Jesu klaren Worten scheiden sich die Geister. Als würde die Axt das Holz spalten. Seine heilsamen Taten lassen die einen jubeln und machen die anderen misstrauisch. Mit allen möglichen und unmöglichen Leuten geht Jesus um – da wächst nicht nur zusammen, was nach menschlichem Ermessen zusammengehört. Wenn Schuld vergeben und bedingungsloser Neuanfang geschenkt wird, kommen unsere Bilder von Gott und der Welt und ihrer Ordnung unter den Hammer. Wo das geschieht, beginnt die Gefahrenzone der „ungesicherten Bereiche“. Vorsichtige Menschen erklären den Aufenthalt darin für verboten und passen auf, dass alle sich daran halten.

Jesus war nicht vorsichtig. Er hat sein Werkzeug benutzt – zum Trennen und Verbinden. Jesus hat die Liebe Gotte gelebt. Liebe, die nicht sagt: Alles ist erlaubt. Aber die darauf vertraut: Alles ist möglich bei Gott. Alles ist möglich für den, der glaubt. Wo solche Liebe ist, da zieht Gott ein, da ist das Haus Gottes bei den Menschen kräftig im Bau und wächst auf der Erde in den Himmel.

Auf dieser Großbaustelle, in dieser Gefahrenzone ist der „Zimmermannschristus“ umgekommen. Seine Liebe blieb nicht ohne Folgen. In der Darstellung des Künstlers hinterlässt sie Spuren, blutrot. Axt und Hammer haben den Gekreuzigten noch nachträglich erschlagen. Die Vorsicht hat sich gegen ihn gewendet und mahnend ihr Verbotsschild aufgerichtet: Seht her, ein abschreckendes Beispiel! Wer ihm folgt, dem wird es ähnlich gehen. Nehmt euch bloß in Acht!

Aber ob die Rechnung der Vorsicht aufgeht? Axt und Hammer tun zwar ihr Werk. Aber nach oben zum Himmel lassen sie Platz. Und ein Arm des „Zimmermannschristus“ bleibt unversehrt. Es ist der besonders unvorsichtige linke Arm, der sich um Verbote nicht schert und das entsprechende Schild halb überdeckt. In aller Schwachheit offenbar doch ein starker Arm. Sollte es im „ungesicherten Bereich“ eine Freiheit geben, die nichts und niemand zerstören kann?

Dann wäre das, was wir hier sehen, kein Arbeitsunfall. Sondern bewusst auf sich genommenen Risiko. Und eine Erinnerung daran, wo wir hingehören – Christus und die Christen: in den „ungesicherten Bereich“ nämlich, den Bereich der Liebe und des Vertrauens. Dorthin, wo ich tatsächlich unter die Räder kommen kann, den Kürzeren ziehen und der Dumme sein.

Wo es keine Sicherheit gibt, aber Freiheit, für Gott zu leben, für den Nächsten dazu sein und dabei ich selber zu bleiben. In der Gewissheit, dass oben der Himmel offen steht.

Ortrun Hillebrand

Zurück