PresseMan muss die Menschen aufregen
— Rheinische Post
Ihre Kruzifix-Objekte haben, wo immer sie zu sehen waren, heftige Reaktionen hervorgerufen. Sie haben verstört, abgestoßen, religiöse Gefühle verletzt. Als Sie den „Laib Christi“ – ein in Brot gebackenes Kruzifix – im Vinzenz-Hospital röntgen ließen, war das Geschrei besonders groß. Beim Anblick einer Christusfigur auf dem Hackklotz hieß es: Gotteslästerung! Wie begegnen Sie solchen Vorwürfen?
Grimm Wenn man Schüler ist, oder als VHS-Mutti einen Malkurs belegt, dann malt man erst nur so vor sich hin, will Techniken erproben, malerische Übergänge vom Schatten zum Licht erzielen und ein schönes Bild malen. Im Laufe der Zeit vertieft und verbreitet sich dann das künstlerische Arbeitsfeld und da kann es sein, dass man dann Dinge macht, die bei anderen auf großen Unwillen oder echt empfundene Ablehnung stoßen. Dann beginnt der Kampf, dann steht das eigene Werk konträr zu den Erwartungen anderer Menschen. Ich habe bei meinen Kruzifixausstellungen Besucher erlebt, die hatten vor Erregung Schaum vor dem Mund und haben – unter Androhung einer Anzeige wegen Gotteslästerung – die sofortige Beseitigung bestimmter Kreuzobjekte verlangt und gipfelten das Ganze mit der Aussage: Das sei die ekelhafteste Ausstellung, die sie je gesehen hätten. Über den „eingemachten Christus“ war eine ganze Gruppe der Frauenhilfe hell empört. Für mich kam dieser Protest gerade für dieses kleine und bescheidene Objektchen völlig überraschend.
Aber Sie mögen Überraschungen.
Grimm Lege ich den Schwerpunkt auf das „Künstlerische“, dann ist die Frage ja in ein allgemeines, menschlich-positives System gerückt, dann darf man der Kunst keine Grenzen setzen und ich muss das machen, was ich für notwendig und erforderlich halte. Ich meine das so, wie es der Heilige Augustin sagt: „Dillige et quod vis vac.“ (Liebe, dann kannst du tun, was du willst). Es gibt andere radikalere Positionen, wie, wenn ich mich recht entsinne, Harald Szeemann, der schweizerische Ausstellungsmacher, sie einmal formuliert hat: Die Freiheit der Kunst muss sogar bis zu einem Mord gehen können, wenn dies der Entfaltung und der Arbeit des Künstlers notwendig dient. Das müsste man offen diskutieren.
Heißt das, Kunst muss sogar Grenzen überschreiten, um überhaupt ernst genommen zu werden?
Grimm Diese Frage ist nicht auf die Kunst beschränkt. Sie bezieht sich auch auf die Philosophie, die Naturwissenschaft, die Politik und – ganz aktuell – auf das Arbeitsgebiet des Fragenden, des Redakteurs: den Journalismus, die freie Presse. Wenn ich nicht im Mittelmäßigen verharren will: Ja, dann muss man bis an die Grenze des Möglichen gehen, muss diese Grenze sogar überschreiten und schauen, was es noch zu entdecken und zu bearbeiten gibt. Das empfinde ich als große Befriedigung, wenn mir das gelingt und ich kann im Unbekannten wühlen und toben, etwas Neues herauskramen … ob ich mich selbst oder damit die anderen Menschen schocken, ärgern oder aufregen werde, das darf mich bei dieser ersten Tätigkeit gar nicht berühren. Der junge Schiller hat auch gefordert: „Man muss die Menschen inkommodieren!“, das heißt: ärgern, aufregen, um es modern zu sagen: Heftig anmachen! Und wer zweifelt daran, dass dem Schiller dies – damals wie heute – gelungen ist.
Oft handelt sich Kunst den Vorwurf ein, nur um des Provozierens willen zu provozieren. Maurizio Cattelans Plastik „La Nona Ora – die neunte Stunde“ zeigt den gestürzten Papst, von einem Meteor erschlagen. Johannes Paul II. blickt zweifelnd zum Himmel. Viele Christen reagieren auf Cattelans Religionskritik schockiert und fühlen sich beleidigt. Wie sollte man mit solcher Kunst umgehen?
Grimm Man kann mit solchen Dingen nicht „umgehen“. Jeder muss die Arbeit auf sich wirken lassen, dazu Stellung nehmen, sich selbst entscheiden, mit anderen diskutieren und dieses Werk beurteilen. Wie die „Kirche“ als gesellschaftliche Institution darauf antwortet, das ist eine ganz andere Frage. Können Sie sich vorstellen, wie riesig die weltweite Reaktion gewesen wäre, wenn nicht der Papst, sondern Mohammed erschlagen auf dem Boden gelegen hätte?
Wenn ein paar Karikaturen in einer dänischen Zeitungen die islamische Welt derart in Aufruhr bringen, dass Fanatiker zum Kampf der Kulturen blasen, kann ich mir das gut vorstellen. Dagegen war die Reaktion auf Cattelan nicht mal ein Sturm im Wasserglas.
Grimm Was kann das aufzeigen?
A: Unsere Kultur ist so weit aufgeklärt, dass diese künstlerischen Werke mit ihrer wie auch immer intendierten Aussage verkraftet wird.
B: Die Bedeutung und die vitale Kraft der christlichen Kirchen sind schon extrem reduziert, dass es zu einem wirksamen öffentlichen Protest gar nicht kommen kann. Ich neige der zweiten Deutung zu.
Ein anderes Beispiel: Dem Künstler Gregor Schneider, der 2001 für sein „Totes Haus Ur“ auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für Deutschland gewann, wurde verboten, auf dem Markus-Platz seinen schwarzen Kubus aufzustellen. Begründung: Der Würfel ähnele zu sehr der Kaaba, dem zentralen Heiligtum des Islam in Mekka, und könnte Ziel eines Anschlags werden. In Deutschland sah man durch das Verbot die Freiheit der Kunst bedroht. Wenn Vorsichtsmaßnahmen dieser Art zur Regel werden, könnte diese Angst berechtigt sein. Wie sehen sie das?
Grimm Na, ja? Die Ähnlichkeit des schwarzen Würfels zur Kaaba ist sehr augenfällig. Aber die Sachen der Kunst sind nie nur Gegenstände, die dem Betrachter entgegenstehen, sie sind immer auch Ausdruck innerer Befindlichkeiten und gleichzeitig gesellschaftlicher Dimensionen. Diese Sache ist doch wie ein Vorgang in der Politik: die Opposition kann leicht dahintraben; sie muss nicht als Ackergaul den Regierungskarren ziehen.
Zurück zum Karikaturenstreit. Es gibt ja nicht nur den Mob, der auf der Straße Hassparolen skandiert und Fahnen verbrennt. Auch gemäßigte Muslime kritisieren den Westen wegen dieser Zeichnungen. Offensichtlich sind die Karikaturen ein willkommener Anlass, den Europäern mal die Meinung zu sagen. Etwa nach dem Motto: Wir fühlen uns schlecht behandelt. Behandelt uns anders. Wie sollte der Westen reagieren?
Grimm Diese Tatsache ist nicht zu leugnen: Die veröffentlichten Bilder zeigen nicht nur das Antlitz von Mohammed, sie verstoßen gegen ein Dogma, ein nicht zu diskutierendes Gesetz des Islam. Ich erinnere an die Dogmen der Katholischen Kirche. Bis in die neueste Zeit haben Küng, Drewermann und der Priester, der mit den Protestanten gemeinsam das Abendmahl gefeiert hat, sich bis in existenzielle Nöte und heftige Kämpfe mit der offiziellen, harten Haltung des Vatikan auseinander setzen und ihre persönlichen Konsequenzen ziehen müssen. Und das 500 Jahre nach Luthers Reformation und rund 200 Jahre nach der für Europa (außer Spanien!) unglaublich bedeutenden Zeit der Aufklärung. Diese für uns befreienden Epochen haben die islamischen Staaten und Menschen nicht durchgemacht. Ebenso wenig zu leugnen ist: Das Angebot verschiedener islamischer Gruppen, zu einem vermittelnden Gespräch auf verschiedenen Ebenen, lange vor der Eskalation durch die Politisierung der angeheizten Stimmung, ist von wichtigen europäischen Menschen nicht angenommen worden. Der Schmerz einer Verletzung ist gut nachzuvollziehen. Jetzt, wo die bildnerischen Äußerungen sich instrumentalisieren lassen, ist das Ganze noch schwerer zu steuern. Es ist aber immer noch unglaublich beeindruckend, welch ungeheure, breite Sprengwirkung eine gezeichnete, interpretierende Darstellung auf einem Stück Papier 2006 noch haben kann. Es zeigt sich dort aufs Neue die ungebrochene Kraft der Kunst.
Info
Kleine Werkschau
Alfred Grimm eckt gern an und kratzt gern an Tabus. Ein Blick auf einige seiner Arbeiten:
1990: Die Evangelische Stadtkirche Dinslaken zeigt 13 Kruzifix-Objekte. Die Besucher sind irritiert. Manche loben Grimm für seinen Mut, andere reden von „Schweinerei“. Mittlerweile gibt es über 60 Kruzifixe kleinen und großen Formats, die in über 25 Ausstellungen in ganz Deutschland zu sehen waren.
1990: Objektfenster für die Evangelische Kirche „Unsere Arche“ in Hünxe-Bruckhausen.
1993: Mahnmal im Dinslakener Rathauspark
1995: „Mutter-Erde-Stuhl“, 1998 wird das Objekt in Meerbusch zensiert; es fliegt aus der Gemeinschafts-Ausstellung „Kunst grenzenlos“. Frauen fühlten sich beim Anblick des aus einem gynäkologischen Stuhl gefertigten Werks in ihrer Würde verletzt. Der Dinslakener Künstler Udo Buschmann nahm daraufhin aus Protest gegen die Zensur auch seine Bilder ab.
2001: „Die Baustelle“, Beitrag für den Dinslakener Skulpturenweg. Bretter, Sandhaufen, Balken, eine eiserne Absperrung, eine Baugrube mit einer Soldatenplastik darin. Der Künstler buddelte direkt vor der Haustür des Baudezernenten Haverkämper. Ende 2005 wurde das Werk in Bronze gegossen und vor den Stadtwerken aufgestellt.
2003: „Versuchtes Paradies“. Das TV-Objekt zeigt Adam und Eva bei der Erfindung des Liebesspiels.